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8. Die Funde

8.1.5. Einordnung und Datierung der älteren Kugeltopfkeramik (Warenarten a und b)

8.1.5. Einordnung und Datierung der älteren Kugeltopfkeramik (Warenarten a und b)

Die uneinheitlich oxidierend gebrannten Warenarten a1 und a2 gehören zur älteren Kugeltopfkeramik. Sie tritt im münzdatierten Horizont unter der Ägidienkirche 1149/70 auf und wurde nach A. Büscher wohl in Hannover selbst von der Mitte des 11. bis zum Ende des 12. Jh. produziert. Dafür spricht auch der mineralogische Befund (Anhang 4). Vergleichbare Warenarten kommen vom Weserbergland bis nach Braunschweig im 11. und 12. Jh. vor (siehe Konkordanzliste Anhang 3). Eine Eingrenzung bis zur Mitte des 12. Jh. wird durch ihre Abwesenheit auf der Wildburg, Kr. Höxter (erbaut 1160-62) wahrscheinlich[140]. Daraus ergibt sich ein Zeitansatz in das 11. und 12. Jh. Dies bestätigt ihre Stellung in der Stratigraphie der Grabung Hannover-Bohlendamm; der Großteil ihrer Vertreter stammt aus den ältesten Siedlungsschichten: Die höhere Konzentration der grob gemagerten Warenart a1 in der Füllung der Grube E könnte ihr höheres Alter widerspiegeln, beide sind in der Brandschicht I-181.35 aus dem späten 12. Jh. mit deutlichem Gewicht auf Warenart a2 belegt. Daher ist ein Zeitansatz der Warenart a1 bis zum späten 12. Jh. wahrscheinlich, Warenart a2 könnte dort ihren Schwerpunkt haben.

Die Dünnschliffuntersuchung (Anhang 4) unterschied Warenart b1 von den übrigen älteren Waren. Deshalb verbergen sich unter dieser Warenart Produkte einer unbekannten Töpferei, die im Raum Hannover-Braunschweig nicht näher zu lokalisieren ist. Vom äußeren Eindruck her gibt es jedoch durchaus Parallelen im Untersuchungsgebiet: Diese Warenart wird in Hannover von A. Büscher in die Mitte 11. bis Ende 12. Jh. gesetzt. Ähnliche Warenarten sind im gesamten südniedersächsischen Raum vom Weserbergland bis nach Braunschweig im 9.-12. Jh. vorhanden. In Minden und auf der Pfalz Werla deutet sich eine Laufzeit bis in das 13. Jh. an (vgl. Anhang 3)[141]. In der Stratigraphie der Grabung Bohlendamm erscheint Warenart b1 bereits in der ältesten Geländeoberfläche, ihr Schwerpunkt liegt in den Schichten bis einschließlich zum Bauhorizont des Steinwerks, das um 1200 errichtet wurde. Sie streut zwar bis in die jüngsten Schichten, dürfte dorthin allerdings verschleppt worden sein. Daraus ergibt sich eine Gebrauchszeit bis um 1200.

Die Dünnschliffuntersuchung ergab für Warenart b2 eine Herkunft aus dem Raum Hannover (Anhang 4) sowie eine enge Verwandtschaft mit Warenart d3. Sie steht an der Schwelle von der älteren zur jüngeren Kugeltopfkeramik und wurde in Hannover von A. Büscher und H. Plath in das 11. Jh. bis zweite Hälfte 13. Jh. gesetzt. Auffallend ist ihr im Verhältnis zu den Warenarten a und b1 deutlich erweitertes Randformenspektrum (Abb. 22), das auch jene Formen in größerer Zahl umfaßt, die für die jüngere Kugeltopfkeramik typisch sind (RF 11-15).

In Südniedersachsen gibt es Übergangsprodukte zur jüngeren Kugeltopfkeramik vom 12. bis zum 13. Jh. In Minden hält sich eine Übergangsart bis in die frühe Neuzeit (zur genauen Bezeichnung der Warenarten vgl. Anhang 3). P. Grimm setzt die Laufzeit der jüngeren Variante der älteren Kugeltopfkeramik im Raum Halle-Magdeburg in die Zeit von 1180-1220[142]. Auf der Grabung Bohlendamm erscheint sie bereits im Fundgut der ältesten Bodenoberfläche. Sie streut in deutlicher Stückzahl bis in die oberen Fundschichten der spätestens um 1500 überbauten Freifläche zwischen Dammstraße und Innenraum 7, fehlt aber in der neuzeitlichen Latrine II-44. Daraus könnte eine Laufzeit bis in das späte Mittelalter resultieren. Ihre enge Verwandtschaft zu Warenart d3 legt es nahe, in diesen beiden Warenarten eine lokale Produktion der jüngeren Kugeltopfkeramik in Hannover zu erkennen (vgl. Warenart d3).

Die vorgenannten Warenarten sind - abgesehen von einem Topf - nur durch Scherben belegt. Deshalb muß sich eine formenkundliche Einordnung im wesentlichen auf die Randformen beschränken. Um Wiederholungen zu vermeiden, sollen diese hier gemeinsam besprochen werden.

Der namengebende Kugeltopf ist die einzige am Bohlendamm belegbare Gefäßform der o.g. Warenarten. Er erscheint nach H.G. Stephan im Weserbergland erstmals im 9./10. Jh., dieser Ansatz ist zu präzisieren: Die Ausbreitung scheint insgesamt von Nord nach Süd zu erfolgen. Während die frühesten Kugeltöpfe in Hamburg, Düna, im Harzgebiet und in Magdeburg im 10. Jh. auftreten, stammt der früheste Beleg in Niederhessen aus dem 12. Jh[143].

Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Anfangsdatierung der Funde des Bohlendammes ist der hier fast obligatorische Gebrauch eines Formholzes für die Randgestaltung. Dieser ist in Hamburg im 11. Jh., im östlichen Harzvorland nach P. Grimm seit dem späten 11. Jh. üblich. H. Plath setzte das Aufkommen des Formholzes in Hannover 1075 an[144]. Damit liegt am Bohlendamm der Beginn aller Warenarten der älteren Kugeltopfkeramik etwa im späten 11. Jh. Dies markiert zugleich den Ausgangspunkt einer (intensiveren) Siedlungstätigkeit.

Die geringe Gesamtzahl der Randscherben von Warenart a läßt keine verläßlichen Rückschlüsse darauf zu, ob ihr verringertes Randformenspektrum ein Zufallsprodukt oder tatsächlich chronologisch relevant ist (Abb. 22). Ihre gegenüber den Warenarten b1 und b2 auf das 11./12. Jh. begrenzte Laufzeit könnte jedoch für letzteres sprechen. Damit wären insbesondere die Randformen RF 1,4 und 8 als frühere Ausprägungen anzusprechen (Abb. 28).

Grundsätzlich sind eine ältere und eine jüngere Randformengruppe zu unterscheiden. Die älteren Randformen: Der horizontal abgestrichene Rand (RF 1: Abb. 35,4- 36,11; Abb. 37,28-31) gehört auf der Pfalz Werla zu den Formen des 9.-11. Jh. H. Plath bezeichnet ihn als Leitform für die Zeit "um 1200"[145]. Am Bohlendamm bestätigt sich dieser Ansatz: alle Belege stammen aus den ältesten Schichten bis einschließlich der Brandschicht I-181.35, die in das späte 12. Jh. gehören dürfte.

Gekehlte, horizontal abgestrichene Ränder (RF 2: Abb. 37,32-34) sind im münzdatierten Horizont unter der Ägidienkirche enthalten (um 1149/70) und laufen nach Plath bis in das 14. Jh. fort, dafür spricht auch ihr Vorkommen im münzdatierten Befund in Höxter-Weserstr. 1 (drittes Viertel 13. Jh.)[146]. Die frühesten Vertreter am Bohlendamm stammen aus der Brandschicht I-181.35, ihre Laufzeit bis in das 14. Jh. könnte grundsätzlich durch einen Beleg aus der im 14. Jh. überdeckten Oberfläche Lh I-215 bestätigt werden.

Der wulstig verdickte Rand (RF 3: Abb. 36,14; Abb. 38,35) wird von E. Ring in die Zeit von etwa 900 bis frühes 13. Jh. gesetzt, dem widerspricht die Situation am Bohlendamm nicht[147].

Der hohe gratige Rand (RF 4: Abb. 35,5; 36,15.16) gehört in Minden zu den Formen des 10.-12. Jh. H. Plath zählt ihn zu den Leitformen "um 1200"[148]. Der niedrige gratige Rand (RF 5: Abb. 36,17; 38,36-38) kommt unter dem datierten Horizont der Ägidienkirche in Hannover vor (vor 1149/70), im Fundgut der Pfalz Pöhlde gehört er in das 10.-12. Jh[149]. Dazu paßt die Beschränkung dieser Formen in der Stratigraphie der Grabung Bohlendamm auf den Brandhorizont I-181.35 aus dem späten 12. Jh. und die Anschüttungsschichten, die zur Errichtung des Steinwerks um 1200 gehören.

Der unterschnittene Rand (Abb. 35,6) hat eine Parallele im Material des Ilsesteins aus dem 11. Jh[150]. Der ähnliche kantig unterschnittene Rand (RF 8: 38,39) stammt in Braunschweig-Turnierstraße aus dem Horizont um 1100[151]. Der gerundete, unterschnittene Rand (RF 9: 36,20- 37,25; 38,40-42) ist unter dem münzdatierten Horizont der Ägidienkirche belegt (vor 1149/70), in Magdeburg wird er um 1100 datiert[152]. Am Bohlendamm sind diese eng verwandten Typen von den ältesten Siedlungsschichten bis zum Bauhorizont des Steinwerks verbreitet, dies könnte eine Laufzeit bis um 1200 andeuten.

Von diesen älteren Formen unterscheiden sich jüngere, langlebigere Typen: Der hohe verdickte Rand mit ausgezogener Schnauze (RF 10: 38,43) kann nur eingeschränkt mit einem Stück aus der Pfalz Pöhlde verglichen werden (13./14. Jh.)[153]. Der verdickte Lippenrand (RF 11: Abb. 37,26; 38,47 - 40,51) erscheint in älterer Kugeltopfkeramik im Fundgut des Ilsesteins (11. Jh.) und auf der Wildburg (Mitte bis Ende 12. Jh.)[154]. Der unverdickte Lippenrand (RF 12: Abb. 35,7; 36,12; 40,52) ist unter dem münzdatierten Horizont der Ägidienkirche vertreten (vor 1149/70), er läuft in Minden vom 10. bis zum 14. Jh.[155]. Im Keramikinventar des Bohlendamms setzen diese Formen mit der Brandschicht I-181.35 aus dem späten 12. Jh. ein; da sie noch an jüngerer Kugeltopfkeramik üblich sind, handelt es sich um langlebigere Typen.

Der "s"-förmig profilierte Lippenrand (RF 13: Abb. 35,8) wird in Minden allgemein in das 11.-14. Jh. datiert[156]. H. Plath setzt die schlanken Formen in die Zeit "ab 1215". Den frühen Beginn dieses Typs belegt seine Präsenz in der ältesten Siedlungsschicht des Bohlendamms, auch er ist in der jüngeren Kugeltopfkeramik geläufig.

Der verdickte, innen gekehlte Rand (RF 14: Abb. 40,56) erscheint erstmals unterhalb des münzdatierten Horizontes der Ägidienkirche (vor 1149/70), in Minden gilt diese Randform als langlebig (12.-16. Jh.)[157], was auch die Stratigraphie am Bohlendamm bestätigt.

Das Dekor ist in der älteren Kugeltopfkeramik auf eine niedrige Riefenzier der Halszone beschränkt (Abb. 39,48). Eine vergleichbare Ausprägung ist belegt an einem Münzschatzgefäß aus Oschersleben, dessen Münzreihe von 1190 bis 1240 reicht; im Material der Grube Magdeburg, Johanniskirchhof sind Ansätze einer Riefenbildung am Ende des 12. Jh. zu erkennen[158]. Für Hannover setzte H. Plath ihr Aufkommen in die Zeit "nach 1215"; im Reinhardswald gehören Kugeltöpfe mit randständigem Bandhenkel und niedriger Riefenzier (vier bis sechs Riefen) zum Formengut um 1200, W. Janssen verweist auf ihr Vorkommen in Königshagen in der ersten Hälfte des 12. Jh. Die gerieften Stücke vom Bohlendamm sind verlagert und daher nicht aussagekräftig.

Bandhenkel (Abb. 40,57) gibt es nach H. Plath in Hannover in den Schichten "nach 1215", in Südniedersachsen treten sie jedoch allgemein seit dem späten 12. Jh. auf, was den Zeitansatz nach unten verschiebt[159]. Der einzelne Henkel der Grabung Bohlendamm stammt aus der unteren Füllung des großen Grabens (Mitte 13. Jh.) und widerspricht so Plaths späteren Ansatz nicht.

 

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