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zur homepage Rainer Atzbach, Die mittelalterlichen Funde und Befunde der Ausgrabung Hannover-Bohlendamm

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8. Die Funde

8.1.12. Glasierte Waren

8.1.12.1. Frühe glasierte Scherben

8.1.12.2. Hafnerware und neuzeitliches Steinzeug in Auswahl

8.1.12. Glasierte Waren

8.1.12.1. Frühe glasierte Scherben

Es gibt insgesamt vier Belege dieser heterogenen Gruppe: Aus Grube G stammt die einzige Randscherbe (Abb. 64,206). Der Scherben ist mattbraun und steinzeugartig hart, außen und innen grünbeige bis olivgelb glasiert. Der glatte Bruch läßt runde, feine Quarzpartikel erkennen. Die Mündung ist nur 6 cm weit und endet in einem kolbenförmigen Lippenrand (RF 37). Offenbar handelt es sich um das Fragment eines Miniaturgefäßes. Eine Wandscherbe (Katalog 206,1, ohne Abbildung) kommt aus dem ältesten Laufhorizont I-215, ihr schichtiger Bruch ist grau und läßt feinen Quarz und Glimmer erkennen, die Außenseite ist grasgrün glasiert. Zwei weitere glasierte Scherben stammen aus Grube H, lagen jedoch zur Bearbeitung nicht vor: nach Ausweis des Vorberichtes handelt es sich um Scherben mit einer "relativ dickwandigen, gelbtonigen, grob gemagerten Wandung" mit grüner bzw. gelblich grüner Bleiglasur. Das dort abgebildete Fragment ist mit fingertupfengroßen Eindrücken verziert[221].

Die frühen Bleiglasuren dienten vor allem dem Schmuck und treten deshalb meist an der Gefäßaußenseite auf. Glasiert wurden bevorzugt Miniaturgefäße, Salbtöpfchen und Spielzeug[222]. W. Janssen vermutete noch eine rheinische Herkunft der in Königshagen und Hausfreden angetroffenen glasierten Scherben. Tatsächlich reicht dort ein Traditionsstrang für Bleiglasuren bis in die Spätantike zurück[223], doch kann mittlerweile auch für diese dekorativen Warenarten von einer regionalen Produktion ausgegangen werden. Aus der Schicht unter dem münzdatierten Horizont der Ägidienkirche in Hannover stammt ein der Randscherbe technologisch entsprechendes Fragment (vor 1149/70). H. Plath ordnet das Auftreten früher grünglasierter Scherben in die Zeit "vor 1190" bis "nach 1215" ein. H.W. Peine konstatiert das Vorkommen früher glasierter Ware im gesamten norddeutschen Raum im 11.-14. Jh., dieser Zeitraum umfaßt die Spanne der in neueren Arbeiten üblichen Datierungen für Südniedersachsen (siehe Konkordanz, Anhang 3)[224]. Aus der Lage in der Stratigraphie der Grabung Bohlendamm ergibt sich eine Datierung in das 14. Jh., die durchaus in diesen Rahmen paßt.

8.1.12.2. Hafnerware und neuzeitliches Steinzeug in Auswahl

Die Entwicklung der Keramik endet nicht mit dem Spätmittelalter, auch nicht am Bohlendamm. Deshalb wird im folgenden in repräsentativer Auswahl charakteristischer Stücke und in knapper Form ein Bild der Gebrauchskeramik in der Dammstraße der frühen Neuzeit umrissen.

Die Hafnerware unterscheidet sich deutlich von den oben beschriebenen Irdenwaren und glasierten Scherben. Technologisch bildet sie eine außerordentlich uniforme Gruppe: Magerung ist kaum erkennbar, wenn überhaupt vorhanden, zeigt der Bruch feine, rötliche Schamottpartikel. Der Scherben ist hart bis sehr hart, der Bruch ist stets glatt, kompakt und mattbräunlichrot bis orangebraun, damit eindeutig als oxidierend gebrannt anzusprechen. Neu sind die konsequente Fertigung auf der schnellaufenden "echten" Drehscheibe und der Auftrag einer homogenen Bleiglasur, meist innen, oft auch außen. Eine nähere Differenzierung des Materials durch mineralogische Untersuchungen ist auch hier ein Desiderat.

Bereits um 1400 sind Bleiglasuren auf Gebrauchsgeschirr vereinzelt nachgewiesen[225]. Während die älteren Bleiglasuren die Gefäßaußenseiten zierten, treten sie nun vor allem innen auf. Sie dienten nicht nur der Schönheit, sondern machten den Scherben auch wasserdicht. Steinzeug war zwar auch wasserdicht, aber erstens teurer (höherer Brennholzbedarf, mehr Fehlbrände) und zweitens nicht kochfest. Die Bleiglasur schützte die Innenseiten der Kochtöpfe einerseits vor dem Einbrennen von Speiseresten und andererseits die Speisen/ Getränke vor einem erdigen Beigeschmack. Diese "verbraucherfreundlichen" Eigenschaften begründeten den Siegeszug der bleiglasierten "Hafnerware", die in der frühen Neuzeit auch durch Bemalungen reich verziert werden konnte. Im späten 15. Jh. beginnt in Südniedersachsen und im nordhessischen Reinhardswald die Produktion heller, meist innen bleiglasierter Irdenware in großem Umfang und an mehreren Töpferorten (Duingen, Fredelsloh, Dransfeld, Großalmerode, Coppengrave). Die Produkte des "Pottlandes", insbesondere die hochwertige bemalte "Weser- und Werraware", erfreuen sich großer Beliebtheit und Verbreitung im gesamten nordwestdeutschen Raum und darüberhinaus bis nach England und in das Ostseegebiet[226].

Gerade für das Aufkommen der glasierten, hellen Irdenware macht sich die Forschungslücke im 15. Jh. unangenehm bemerkbar. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß zwischen den frühen glasierten Waren des 11.-14. Jh. einerseits und der entwickelten Hafnerware des 16.-18. Jh. andererseits ein Hiatus liegt. Im Fundgut der Grabung Bohlendamm kristallisiert sich ein Unterschied zwischen Horizont E und F, gekennzeichnet durch das vereinzelte und massierte Auftreten der Hafnerware, heraus. Häufig enthalten Fundkomplexe des Horizonts E datierbare Keramik (meist Steinzeug) aus dem 15. Jh. So daß sich hinter diesem Horizont die benötigte Übergangsphase verbergen dürfte. Im Rheinland ist das Aufkommen heller bleiglasierter Irdenware in größerem Umfang bereits im 15. Jh. nachgewiesen[227].

Obwohl die Forschungslage zur Hafnerware umfangreich ist, folgt sie nicht archäologischen, sondern volkskundlichen Zielsetzungen und Darstellungsweisen, so daß insbesondere die schärfere Datierung künstlerisch "minderwertiger" unbemalter Gebrauchskeramik der frühen Neuzeit weniger mittels Einzelkriterien (Randform, Gefäßform, Zier) als unter Hinzuziehung von charakteristischen Museumsstücken erfolgen muß. Dies erübrigt eine umfassendere Diskussion des Zeitansatzes, die Vergleichsstücke sind dem Katalog zu entnehmen.

Zum Fundkomplex aus der frühneuzeitlichen Latrine II-44 gehören Fragmente von zwei Grapen mit Stielgriff: einer innen glasiert mit Riefenzier (16. Jh., Abb. 65,207) und einer beidseitig glasiert mit flüchtiger Malhornbemalung im Stil der "Weserware" (17. Jh., Abb. 65,208), der stellvertretend für die nur in geringer Stückzahl am Bohlendamm belegte Malhornware steht. Ferner stammen von dort drei innen glasierte Bruchstücke von Grapenschalen (16. Jh., Abb. 66,209-211). Hinzu kommt ein unglasierter Becher oder kleiner Topf (Abb. 66,212), dessen Typ bis in das 19. Jh. benutzt wurde. Leider muß die Vergesellschaftung mit Siegburger Steinzeug wegen der Fundbergung mit der Baggerschaufel ungesichert bleiben, sie würde einen Zeitansatz dieser Formen in das 16. Jh. abdecken.

Aus dem Geviert M I-84-87, das im erst nach 1489 errichteten Keller Dammstr. 13 abgemauert worden ist, stammt ein umfangreiches Repertoire: Ein großer, rillenverzierter, unglasierter Deckel in "Zieglerware" (16./17. Jh. Abb. 67,213), ein großer, kugeliger Grapen (16. Jh., Abb. 67,214) und zwei sehr ähnliche Becher(fragmente) (16. Jh., Abb. 68,215.216). Das Formenspektrum wird erweitert durch sehr häufige weitmündige Henkeltöpfe (16./17. Jh., Abb. 68,217-219) mit karniesförmigen oder Wulst-Rändern und flache Teller oder Schalen (16./17. Jh., Abb. 69,220.221) sowie gestielte Töpfe (17. Jh., Abb. 69,222; 70,223). Überaus pittoresk sind Schalenfragmente mit Attachen, die Puttengesichter tragen (17./18. Jh., Abb. 70,224). Dazu kommen eine kleine, innen und außen braun glasierte Schale mit quergestelltem Bandhenkel (17. Jh., Abb. 70,226) und ein glockenförmiger Deckel (Abb. 70,225). Das Geviert kann frühestens im 16. Jh. errichtet worden sein, gibt aber darüberhinaus keinen näheren Aufschluß über die Zeitstellung dieser Formen.

Als Lesefunde aus den oberen Planierschichten in der Hofzone IR 27 erscheinen weitmündige Schüsseln oder Schalen (17. Jh., Abb. 71,227.228) sowie große Töpfe (16./17. Jh., Abb. 71,229). Nur ein Stück (Abb. 71,227) ist ausschließlich innen, ginstergelb, glasiert. Die übrigen Stücke sind beidseitig grün, beige oder braun glasiert, wobei Innen- und Außenglasur übereinstimmen.

In der Stratigraphie der Grabung Bohlendamm erscheint die entwickelte unbemalte Hafnerware in den oberen Füllschichten der Grube H, die nach 1489 endgültig überdeckt worden ist, ferner in den oberen Füllschichten der Latrine III-11, die möglicherweise im Zusammenhang mit Bauarbeiten auf den Grundstücken K 38/39 im 15. Jh. aufgegeben wurde, sowie in der Grube N, die erst nach 1469 angelegt worden sein dürfte. Leider enthielten die betreffenden Befunde nur Wandscherben. Damit deutet sich auch am Bohlendamm ein Zeitansatz der entwickelten, hellen und bleiglasierten Irdenware schon im 15. Jh. an. Da ohne Randscherben keine Aussagen über das Formengut dieser Frühphase möglich sind, ist nur zu vermuten, daß möglicherweise ein Teil des oben gemäß der Literatur in das 16. Jh. datierten Formengutes bereits in das 15. Jh. gehören könnte.

Als Vertreter des neuzeitlichen Steinzeuges wurde eine rekonstruierbare Röhrenausgußkanne aufgenommen (sp. 17. Jh., Abb. 71,230), deren Typus exakt in das Duinger Produktionsspektrum des späten 17. Jh. paßt. Ein niederländisches Pfeifenfragment mit Zahlenmarke auf dem Fußstiel (17./18. Jh., Abb. 71,231), das aus der neuzeitlichen Faßlatrine I-195 östlich des Steinwerks kommt, rundet das Bild ab.

 

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