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8. Die Funde

8.1.1. Zum Forschungsstand über mittelalterliche Keramik im südlichen Niedersachsen

 

8.1.1. Zum Forschungsstand über mittelalterliche Keramik im südlichen Niedersachsen

Das südliche Niedersachsen gehört zum nordwestdeutschen Keramikraum. Für diesen liegen keine zusammenfassenden Monographien vor, wohl aber eine Vielzahl meist in Aufsatzform edierter Beschreibungen einzelner Fundkomplexe[121]: Am Beginn stand 1898 C. Koenen, der erstmals die für den gesamten Raum bedeutende Pingsdorfer Keramik beschrieb. Die zunehmende Ausgrabungstätigkeit in Städten, Burgen und Wüstungen vermehrte rasch das bekannte Material. 1932 skizzierte P. Grimm die Entwicklung der Keramik des nördlichen Harzvorlandes: er erkannte den Übergang von frühmittelalterlich-sächsischer Standbodenware zu hochmittelalterlicher Kugeltopfware. 1951 stellte R. Schindler die mittelalterliche Keramik in Hamburg anhand der ermittelten Stratigraphie zusammen, 1953 erschloß C. Sauermilch das Oberwesergebiet für die Keramikforschung.

H. Plath legte 1958 einen Abriß der Keramikentwicklung Hannovers vor; er stützte sich auf die Funde und Befunde seiner Stadtkerngrabungen und erhob das Postulat, eine lokale relative und absolute Chronologie des Fundstoffes hätte Vorrang vor einer Datierung über Vergleichsfunde. Mit Hilfe mineralogischer Analysen wies er nach, daß ein Teil der in Hannover auftretenden pingsdorfartigen Waren aus dem südniedersächsischen "Pottland", zwischen Hameln und Alfeld, stammt und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf die mittelalterliche Produktion dieser vor allem durch neuzeitliche Hafnerware bekannten Töpferregion[122]. P. Grimm legte 1959 einen Abriß der Entwicklung der Keramik im Magdeburger Raum vom 9. bis 13. Jh. vor, die deutlich die Zugehörigkeit auch dieser Region zum südniedersächsischen Formenkreis zeigte; auf ihn geht die Unterscheidung in ältere und jüngere Kugeltopfkeramik (rotbraune und graue Irdenware) zurück.

W. Janssen veröffentlichte 1966 die erste Monographie über südniedersächsischen Keramik, er edierte hierzu die Keramikfunde dreier absolut datierter Fundorte mit umfassender Bibliographie. E. Kühlhorn ermittelte ca. 10 km nördlich der Linie Göttingen-Duderstadt die Grenze der südniedersächsischen gegen die nordhessische Keramikregion[123]. Einen tiefgreifenden methodischen Einschnitt markiert H.G. Stephans Monographie über die Frühgeschichte der Stadt Höxter von 1973. Er entwickelte dort und in seinen folgenden Arbeiten eine Gliederung der Keramik in Warenarten, die Vorbild für alle jüngeren westdeutschen Bearbeitungen dieser Region war. Seine Gliederung stützte sich nicht auf die in Grabungen gewonnenen Stratigraphie - er verzichtete auf die Vorlage der entsprechenden Befunde -, sondern auf typologische und technologische Merkmale der Keramikfunde[124]. Zu einzelnen Fundorten erschienen in jüngerer Zeit Monographien: M. Fansa legte 1983 die mittelalterliche Keramik der Pfalz Pöhlde (Stadt Herzberg) vor; er verzichtete wiederum auf die Erstellung einer eigenen, befundgestützten relativen Chronologie, präsentierte dafür eine umfassende Liste der Warenarten nach H.G. Stephan.

1985 stellte H.J. Stoll sämtliche Münzschatzgefäße vom Gebiet der damaligen DDR zusammen. H.W. Peine edierte 1988 die mittelalterliche Keramik Mindens; er zog erstmals seit Plaths Arbeit in größerem Umfang archäometrische Methoden, insbesondere Dünnschliffuntersuchungen heran. Das Resultat war ein neues, von H.G. Stephan stark abweichendes Gliederungsschema der dortigen Warenarten, die er auch bestimmten Herkunftsgebieten (Oberweser, Rheinland, Nordseeküste etc.) zuweisen konnte.

1990 veröffentlichte E. Ring die Keramik der Pfalz Werla, Kr. Wolfenbüttel - wiederum im Verzicht auf eine eigene relative Chronologie - gemäß der Gliederung H.G. Stephans. Er definierte den "keramischen Kleinraum Braunschweiger Land" zwischen Magdeburg und Hannover, der enge Verwandtschaft mit dem südlichen Weser- und Leinebergland aufweist. Ferner bot er eine umfassende kritische Auflistung aller absolut datierten Fundkomplexe. Im gleichen Jahr erschien die Vorlage der Keramik des Klosters tom Roden bei Corvey von R. Röber, die dem gegebenen Muster folgte[125].

Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die ostdeutsche Forschung bis 1990 für die östliche Harzregion stets um eine stratigraphisch abgesicherte relative Chronologie bemüht war. Sie hatte an den westdeutschen Differenzierungsversuchen keinen Anteil und hielt an übergreifenden Großgruppen fest (Nordseegruppe= ältere Kugeltopfkeramik, blaugraue Ware= jüngere Kugeltopfkeramik, Ware mit metallisch glänzender Oberfläche), die sich freilich infolge der Forschungssituation in der ehemaligen DDR nur auf ausgewählte Fundplätze stützen mußte. Der jüngste in dieser Studie erfaßte Beitrag zur Keramik in Südniedersachsen ist die Dissertation A. Büschers über die Keramik der Stadt Hannover, die sich eng an die Verfahren und Ergebnisse Stephans, Fansas und Rings anschloß[126].

Die Differenzierung der Warenarten, insbesondere der Drehscheibenware (u.a. Keramik Pingsdorfer Art) und der jüngeren Kugeltopfkeramik ("blaugraue Ware" alias "Grauware" alias "grautonige Irdenware"), ist seit der ersten Arbeit H.G. Stephans ein Forschungsziel und -Problem der Region. Die jüngere Kugeltopfkeramik zeichnet sich durch eine uniforme Materialgestalt aus, die sich einer oberflächlichen Unterscheidbarkeit entzieht. Nahezu jeder westdeutsche Bearbeiter bemühte sich daher um eine möglichst objektiv-exakte Gliederung in Untergruppen mittels feinerer Kriterien. Die jeweiligen Gliederungssysteme folgen zwar einem gemeinsamen Grundschema, stimmen aber im Detail nicht überein: Um einen Überblick über die konkurrierenden Gliederungsschemata der südniedersächsischen Forschung zu geben, ist dieser Arbeit eine stark vereinfachte Konkordanz der gängigen Warenarten-Obergruppen beigefügt (Anhang 3). Die Warenarten-Untergruppen sind leider für Dritte kaum zu unterscheiden und bringen darüberhinaus keine entsprechende chronologische oder typologische Differenzierung des Materials:[127]

Der sächsischen Standbodenkeramik des 8.-10. Jh. sind eindeutig Kümpfe und Töpfe zuzuordnen. Die ältere Kugeltopfware bietet vor allem das namengebende Gefäß. Die jüngere Kugeltopfware (13.-16. Jh.) zeigt ein stark erweitertes Formenspektrum - das offensichtlich gleichmäßig über alle von der westdeutschen Forschung angebotenen Untergruppen verteilt ist. Eine Spezialisierung bieten dagegen das (Früh-/Fast-) Steinzeug mit Trink- und Schankgeschirr sowie die frühen glasierten Waren mit Miniaturgefäßen und Spielzeug. Ein weiteres Phänomen ist der Keramikhandel; es zeichnet sich zunehmend die regionale Verbreitung bestimmter Waren ab, die tatsächlich aus einer Werkstatt oder einem Werkstattkreis stammen. Dies gilt vor allem für die Produkte der rheinischen Werkstätten und des Pottlandes[128].

Umso beklagenswerter ist die mangelnde Erforschung gerade der mittelalterlichen Produktion dieser Region. Eine Forschungslücke ist ferner die Entwicklung der Keramik im 15. Jh., es gibt keine fest datierten Komplexe aus dieser Zeit, so daß gerade der wichtige Übergang von mittelalterlicher zu frühneuzeitlicher Irdenware mit vielen Fragen behaftet ist[129]. Im frühen 16. Jh. setzt sich die drehscheibengefertigte, bleiglasierte Hafnerware in großer Menge gegen die unglasierte Keramik durch und bringt einen ausgeprägten Formwandel mit sich, der wahrhaft den Beginn der Neuzeit markiert. Die Studie von C. Linge zeigte, dass die Grundlagen der Keramikdatierung im Großraum Südniedersachsen noch nicht hinreichend abgesichert sind und wohl noch detaillierterer Erörterungen bedürfen[130].

"Die Datierung mittelalterlicher Keramik ist noch immer sehr schwankend und wohl auch in Zukunft nur in Jahrhundertabständen festzulegen (...). Die für die Vorgeschichtsforschung bedeutsamen Randprofile sind als Datierungshilfen nur mit größter Vorsicht zu benutzen", resümiert H.G. Griep den Forschungsstand auch für den Übergang in das dritte Jahrtausend sehr treffend[131].

 

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